how to write about alcohol

Ich habe ein Buch über das Trinken geschrieben. Über mein Trinken. Weil ich zu häufig zu hören gekriegt habe: „Also wie du das alles hinkriegst – ich könnte das nicht…“ Ich habe mich davon angegriffen und unverstanden gefühlt. Denn natürlich habe ich es nicht hingekriegt. Hinter der Fassade der starken, alles hinkriegenden Frau und Mutter sah es ziemlich verwüstet aus. Und spätestens mit der Erkenntnis, wie vielen Frauen es so geht, stellt sich die Frage, wie sich davon sprechen, wie sich drüber erzählen lässt, ohne dass es Heldinnengeschichten oder Versagerinnengeschichten werden.

Ich bin erfolgreich. Ich bin eine Frau. Ich bin verwitwet. Ich habe jahrelang mehr oder weniger unauffällig getrunken. Aber wie lässt sich davon erzählen?

Seit DRY erschienen ist, erreichen mich zwei Sorten von Fragen dazu. Die einen betreffen Alkoholismus als Krankheit, die anderen das Sprechen darüber. Schließlich habe ich über mein eigenes Trinken, meine eigene Familie geschrieben. Sogenannte QuitLit. Der Begriff stammt aus dem Englischen und steht für Literatur (Lit), die sich mit dem Aufhören (to quit) befasst. Meistens geht es ums Trinken, meistens sind diese Bücher von Frauen geschrieben, oft sind sie autobiographisch. Fast immer teilt sich das Erzählte in drei Phasen auf: eine Vorher-Zeit, die Zeit, in der getrunken wurde, Situationen und Konflikte, in denen das Trinken eine Rolle gespielt hat, Gründe dafür, warum (vermeintlich) getrunken werden musste, und die Konsequenzen, die es mit sich gebracht hat. Es folgt eine Phase der Erkenntnis bzw. des (versuchten) Entzugs, eventuell ein Klinikaufenthalt, eine Suchtberatung, Teilnahme an AA-Meetings oder anderen Gruppen, vielleicht ein Rückfall. Die dritte Phase – häufig die Klammer, mit der eine Erzählung einsteigt und endet – ist dann die Nüchternheit (oder auch Klarheit, wie Leslie Jamison es nennt), eine Phase, in der sich die Autor*in dem stellt, was sie im Alkohol gesucht (und zu finden geglaubt) hat: die Verheißungen, die Illusionen, der Selbstbetrug, die Betäubung, die Angstfreiheit, der Trost, die Nähe.

Hast Du keine Angst, dass jetzt alle über Dein Leben urteilen?

Das haben sie vorher auch schon getan.

Menschen, die mich kennen, die mit mir leben, die in Beziehung zu mir stehen, haben ihre Thesen über mich, mein Handeln und meine Motive. Menschen haben ihre Versionen voneinander. Meine Kinder haben eine andere Version davon, wer ihre Mutter ist, als meine ehemaligen Liebhaber, Männer, Kindsväter von der Person haben, mit der sie ins Bett gegangen sind, ein Kind gezeugt haben oder von der sie verletzt wurden. Selbst wenn ich es wollte (und es gab Zeiten, da wollte ich das sehr), ich könnte keiner dieser Versionen, die eine Person von mir hat, gerecht werden. Ich kann nur meine eigene Version erzählen. Die Widerspruch hervorrufen kann, die andere anders erlebt haben und widergeben würden.

Es gibt immer verschiedene Versionen. Und manche Menschen lassen sich viel zu lang von der Version in Schach halten, die andere über sie erzählen, angefangen bei den Versionen von uns, die wir als Kinder mit auf den Weg kriegen. Allein die Erkenntnis, wie viel von der mitgeschleppten Last mit dem „Fremderzähltwerden“ zu tun hat, kann einen unglaublich entlastenden Akt der Befreiung darstellen. Zu erkennen, dass die Grenzen dessen, was wir sein, fühlen, denken und spüren dürfen, deswegen so beschämend sind, weil sie nicht die eigenen sind. Weil wir versucht haben, einem Bild und Anspruch gerecht zu werden, gegen den sich etwas in uns sträubt.

Aber das, was sich hinterher wie ein Befreiungsschlag anfühlen kann – endlich dazu zu stehen, was gefühlt wurde, gesagt wurde und geschehen ist -, erfordert mehr als den Entschluss, ab jetzt mit der Lüge und der Verstellung aufzuhören. Und es hat Konsequenzen. Wir reden hier nicht von ein bisschen biographischer Kosmetik. Sondern davon, auch das Unangenehme, Schambehaftete, das Schuldigwerden anzugucken. Auf den Tisch zu packen, Darüber zu sprechen. Aber eben nicht mehr entschuldigend und erklärend, um Absolution zu erhalten. Sondern bilanzierend, zur Kenntnis nehmend, hinguckend: das beinhaltet Menschsein. Gibt bestimmt auch Short Cuts. Aber die Version, die behauptet, es ginge schamfrei und schuldfrei und ohne zu kränken und zu verletzten und gekränkt und verletzt zu werden, und vor allem: ohne Widersprüche, die halte ich für eine Lüge.

Was ich getan habe, und was andere mit Mut verwechseln, ist ja nur, Verletzlichkeit und Verletztheit sichtbar zu machen. Da waren sie ja vorher auch schon. Insofern hat das weniger mit Mut, als mit Handlungsfähigkeit zu tun. Wenn ich ausspreche, was mich verletzlich macht, wenn ich mich also selber ausziehe, nackt hinstelle und auf meine Narben zeige, kann mich niemand mehr beschämen durch den Aufschrei, guck mal, die is nackt!

Wie fühlt sich das an, jetzt immer nüchtern zu sein? Vermisst du das Trinken?

Wie es mir geht und was ich von mir halte, schwankt täglich, und nur eines bin ich durchgängig: nüchtern. Und nicht mal das aus voller Überzeugung. Denn eigentlich ist es eher so, dass ich nicht mehr trinke. Was dann eben Nüchternheit mit sich bringt. Aber auf meinem Wunschzettel stand sie nicht.

Glücklich. Zufrieden. Erfüllt. Leidenschaftlich. Sowas steht auf den Formularen, die ans Schicksal eingereicht werden. Was oder wie eine sein will. Aber nüchtern? Wer, bitte, stellt sich mit ausgebreiteten Armen unter den Himmel, legt den Kopf in den Nacken und brüllt die Gottheiten an, ‚Nüchtern! Wenn Ihr mir meinen größten Wunsch erfüllen wollt: nüchtern. Nüchtern will ich sein!‘

Nope. So war’s nicht. Und so ist es nicht. Wenn überhaupt, stünde ich da und finge an zu feilschen: ‚Kann ich nicht einfach weitertrinken und den Rausch behalten und nur den Selbsthass und die Widersprüche und die Selbstsabotage abgeben – ginge das vielleicht eventuell?‘

Nein, nüchtern wollte ich nicht sein. Ich wollte mich besser fühlen. Und das hat eben mit sich gebracht, den Alkohol wegzulassen. Eine Depressionen erzeugende, abhängig machende Substanz weglassen. Ist das schwer? For fuck’s sake, YES. Macht schließlich abhängig. Zumal, wenn das Leben sich nach dem Weglassen nicht automatisch in eine rosa Wolke verwandelt, alle Konflikte gelöst und alle Widersprüche aufgehoben sind. Im Gegenteil. Sie gewinnen an Kontur, werden scharfkantiger und lassen sich nicht mehr vorübergehend ausblenden. Es braucht jede Menge Mut, das auszuhalten. Und sich selber. Die Gestaltung der Beziehung mit meinem nüchternen Ich stellt mich vor die bisher größte Herausforderung. Denn mich selber kann ich nicht irgendwann verlassen. Mir selber kann ich mich nur annähern.

Worum geht´s in Dry eigentlich?

Um die Büchse der Pandora. Und um Scham.

Wir erinnern uns: in der griechischen Mythologie machen die Götter nie etwas ohne Hintergedanken. Und so ist es natürlich auch mit der Frau mit der Büchse, die Zeus Epimetheus, dem Bruder des Prometheus, schenkt. Die Frau heißt Pandora, die Büchse darf nicht aufgemacht werden, der Rest ist bekannt. Die Frau macht die Büchse auf und raus kommen alles Elend, alle Laster und Untugenden. So weit, so gut. Wir sind ein paar Generationen später dran, die Büchse ist offen, und alles, was drin war, wütet unter uns. Und natürlich würden wir das gerne alles zurück in die Büchse stopfen und einen Stöpsel reinzustecken. Und dieser Stöpsel, das ist der Alkohol. Was ich gemacht habe, ist, den Stöpsel zu ziehen und zu gucken, was dann dahinter zum Vorschein kommt.

Was hat Alkohol mit Scham zu tun?

Wir leben in einer Welt, in der wir uns permanent schämen. Das Wesen von Scham besteht darin, dass sie auf unserer Schulter sitzt und uns einredet, von einem Makel befallen zu sein, von etwas, das andere Menschen, wenn sie davon wüssten, dazu bringen würde, sich abzuwenden. Und Scham hat eine entscheidende Funktion: Scham macht, dass wir den Fehler bei uns selbst suchen und nicht im System. Scham und Alkohol sind also ein Dream-Team.

Cause I’m a wo-man, I can bring home the bacon, Fry it up in a pan, and never let you forget you’re a man.

Enjoli – the 8-hour Perfume for the 24-hour woman

Das ist nicht von mir. Kristi Coulter war´s die in ihrem brillanten Essay Enjoli zum ersten Mal diesen 70er Jahre Parfüm-Werbespot bemüht hat, um auf den Zusammenhang von Ansprüchen und Realitätsausblenung hingewiesen hat. Realitätsausblendung, die so aussieht, dass Frauen sich die Hucke zusaufen, um mit ihrer (vermeintlichen) Unzulänglichkeit klarzukommen.

Nicht genug zu sein. Zu können. Zu kriegen. Anerkennung/Bezahlung/Wertschätzung. Nicht schön genug, nicht erfolgreich genug, nicht gut genug im Job, als Mutter, nicht selbstbewusst genug, nicht durchsetzungsfähig genug. So weit, so gut. Aber was machen wir damit? Wir wollen das nicht. Das soll weggehen. Und statt danach zu fragen, was das mit den Arbeitsbedingungen, den Besitzverhältnissen, den Machtverhältnissen, dem Kapitalismus zu tun hat, schämen wir uns. Und weil kein Mensch sich gerne schämt, liegt es nahe, die Scham zu betäuben. 

“Women are more likely to use alcohol to cope with stress, depression, and anxiety. Alcohol consumption among women has been on the uptick for the past two decades.“

Nur leider lassen sich Emotionen nicht selektiv betäuben, also nur den Schmerz, die Angst, die Enttäuschung, die Scham, die Kränkung. Den Rest betäuben wir gleich mit: Freude, Dankbarkeit, Glück. Und dann fehlt uns etwas, wir leiden darunter und suchen nach Sinn. Fühlen uns angreifbar und verletzlich. Und wollen das erneut betäuben…. Und die Scham lacht sich ins Fäustchen, weil so immer alles weiter geht, nichts sich ändert und wir uns schön individuell schämen, statt mal zu gucken, was denn da draußen eigentlich schief läuft.

Wenn ich also trinke, um etwas nicht zu spüren, nicht zu sein oder nicht zu sehen, heißt, nicht mehr zu trinken im Umkehrschluss: spüren und sehen, was da ist. Mit derjenigen zu leben, die man dann vorfindet. Die Version, die man vielleicht nie haben oder sein wollte. Aber eben nunmal ist.

Und damit bin ich auch bei der Botschaft, warum ich dieses Buch geschrieben habe: Scham braucht drei Nährstoffe, um zu gedeihen: Heimlichkeit, Schweigen und Bewertung/Abwertung.

Was aber passiert, wenn ich sie nicht mehr füttere? Dann verliere ich nicht etwa Freunde, Wertschätzung, Ansehen oder einen Job. Ich verliere nur eines: die Ohnmacht. Und deswegen ist MEIN Trinken zwar MEINE Entscheidung und MEINE Geschichte, aber eben auch ein „Nimm dies, Scham. Du hast keine Macht mehr über mich!“

Warum heißt der Roman DRY?

Dry ist englisch und heißt „trocken“. Klar assoziieren die meisten Menschen damit Nüchternheit, eine trockene Alkoholikerin. Aber das sagt eigentlich mehr über Reflexe und Zuschreibungen als über den Titel.

Begriffe haben einen Zweck. Sie dienen der Abgrenzung einer Eigenschaft von einer anderen Eigenschaft, eines Zustandes von einem anderen Zustand. Wer trocken ist, ist nicht nass. Aber Trockenheit ist nicht nur positiv behaftet – Pflanzen brauchen Flüssigkeit zum Wachsen. Und in der Suchttherapie gibt es die Metapher vom Eisberg, der trockengelegt werden muss, um den Ursachen der Sucht auf die Spur zu kommen. Das ist nicht gerade ein begehrenswerter Job, sich zum eigenen Urschleim abzuseilen und im Dreck zu scharren. Insofern war der Titel auch eine Verneigung vor der Bereitschaft und dem Mut, sich den Dingen auszusetzen, draufzugucken und die Trockenheit auszuhalten.

Und damit bin ich wieder bei den Zuschreibungen. Alkoholikerin ist auch so einer. Er deckt einen Aspekt meiner Persönlichkeit ab, er ist ein Etikett von vielen. Ich bin auch Frau, Mutter, Freiberuflerin, und auch diese Begriffe werden gerne und oft mit Assoziationen belegt, in denen ich mich nicht wiederfinde, nicht wiederfinden möchte. Auch wenn der Begriff korrekt angewendet wird, darauf, was mit ihm verbunden wird, haben wir nur begrenzt Einfluss. Aber wir können versuchen, die Bilder, die sich damit verbinden, zu ändern. Deswegen heißt der Roman Dry. Letztendlich hätte ich ihn auch „Eine deutsche Mutter“ nennen können.

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