Braucht der Faschismus Faschisten?

Ja. Auch.

Aber er braucht auch Menschen, die bereit sind, ihre Sprache anzupassen.

Die bereit sind, Kandidaten bei den Kommunalwahlen zu akzeptieren, die wegen neonazistischer Verbindungen anderswo ihre Stelle verloren haben.

Die einen pragmatischen Umgang auf der Verwaltungsebene einfordern, weil ein Zebrastreifen mehr zählt als die Politik seiner Unterstützer.  

Die sich eine antifaschistische Grundhaltung attestieren. Und faschistisches Handeln nicht als solches erkennen. Oder nicht dagegen angehen.

Die sich daran festhalten, dass das werkseitig ausgelieferte Zyklon B zur Desinfektion von Uniformen, Baracken und Transportwaggons eingesetzt wird.

Dessau ist bekannt als Geburtsstadt von Kurt Weill. Und als Bauhaus-Stadt. Dessau ist aber auch bekannt als der Ort, den Kurt Weill als von den Nationalsozialisten verfemter jüdischer Komponist verlassen musst. Als der Ort, an dem das Bauhaus auf Veranlassung der Nationalsozialisten geschlossen wurde. Dessen Zuckerraffinerie die Produktpalette um Zyklon B ergänzt hat.

Nur, dass es damit nicht angefangen hat. Angefangen hat es mit Wahlen.

Dessau, April 1932: die NSDAP gewinnt im Freistaat Anhalt über 40 Prozent der Stimmen. Auf Vorschlag der NSDAP-geführten Regierungskoalition wählt der Landtag Alfred Freyberg zum Regierungschef. Es braucht keine sechs Monate, bis zu Freybergs Schulerlass über „die Pflege des völkischen Gedankens“. Gepflegt wird hier allerdings nichts. Der Erlass verpflichtet die Schulen, Rassenzugehörigkeit und germanisches Erbgut zum Teil des Unterrichts zu machen.

Dessau, April 2024: Am 3. April 2024 veröffentlichte die Mitteldeutsche Zeitung die Liste der Kandidat:innen, die bei der Kommunalwahl in Dessau-Roßlau am 9. Juni für die Alternative für Deutschland (AfD) antreten. Auf der Unvereinbarkeitsliste der AfD steht die 2009 verbotene Neonaziorganisation Heimattreue Deutsche Jugend (HDJ). Der ehemalige brandenburgische Landesvorsitzende Andras Kalbitz wurde 2020 wegen seiner HDJ-Mitgliedschaft aus der Partei ausgeschlossen. In Dessau handhabt man das anders. Auf der Dessauer Liste der AfD-Kandidaten stehen zwei Männer mit HDJ-Vergangenheit und auch der Geschäftsführer der AfD-Landtagsfraktion in Sachsen-Anhalt war einst Mitglied der HDJ.

„Schon vor fünf Jahren also war ersichtlich, dass der Einwand, man könne 1933 nicht mit 2024 vergleichen, weil es keine SA oder ähnliche Schlägertrupps auf den Straßen gäbe, fragwürdig ist. Die Überschneidungen zwischen der aufstrebenden und immer offener faschistisch auftretenden AfD und militanten bis rechtsterroristischen Gruppen lassen sich schon lange nachweisen.“ (Friedrich Burschel in: Der Schoss ist fruchtbar noch, 15.3.2024)

79 Jahre nach der Zerschlagung der nationalsozialistischen Diktatur sitzt erneut eine faschistische Partei im Bundestag. Ich korrigiere: die Partei ist nicht faschistisch. Nur einige ihrer Mitglieder sind es und dürfen auch juristisch haltbar so bezeichnet werden. Korrekterweise agiert die Partei verfassungskonform, beteiligt sich an Wahlen und stellt Kandidatenlisten vor. Korrekterweise lässt sie nur Kandidaten antreten, deren Nähe zu oder Mitgliedschaft in einer Vereinigung, die dem Unvereinbarkeitsbeschluss der Partei unterliegt, in Sachsen-Anhalt nicht unvereinbar ist. Korrekterweise geht die Partei noch gegen die Einschätzung des Verfassungsschutzes als rechtsextremer Verdachtsfall vor. Korrekterweise ist nur der Landesverband Sachsen-Anhalt der Alternative für Deutschland (AfD) als „gesichert rechtsextremistische Bestrebung“ eingestuft.

Braucht der Faschismus Faschisten?

Auch.

Aber er braucht auch Menschen, die bereit sind, ihre Sprache zu verändern. Die zwar weiterhin humanistisch denken und fühlen. Aber nicht widersprechen, wo Sprache instrumentalisiert wird, wo Misstrauen und Verachtung so lange in Stellung gebracht werden, bis selbst diejenigen, die sich für immun gegen faschistische Inobhutnahme halten, nichts mehr dabei finden, dass die Nachrichten schon lange nicht mehr von Menschen, Geflüchteten, Asylsuchenden sprechen, sondern von Migranten. Wo es nicht mehr weit ist, technische Lösungen für politisch zu lösende Probleme anzubieten.

Dessau ist bekannt als der Ort, an dem das Bauhaus geschlossen, Kurt Weill vertrieben und Zyklon B produziert wurde. Aber bevor diese Ereignisse geschehen konnten, brauchte der Faschismus diejenigen, die sich nicht für Faschisten hielten, sich ihm aber auch nicht entgegenstellten. Wir wollen nicht zu diesen Menschen gehören.

Am 27.4.2024 laufen wir durch Dessau und an den Orten vorbei, an denen sich erzählen lässt, wie sich der Faschismus auch diejenigen einverleibt, die sich nicht für ihn entscheiden.

Bitte schließt Euch an.

Zum Demoaufruf „Nie wieder Dessau 1932“

WordPress Cookie Plugin von Real Cookie Banner